Einige Thesen zu aktuellen gesellschaftlichen Widersprüchen …

Warum läßt sich die Wirtschaft diese wildgewordene Politik des Gesamtkapitalisten gefallen? Ist es ein echter Konflikt zwischen Kapitalien und der bürgerlichen parlamentarischen Interessenvertretung und wie kann er sich entwickeln?

Kurz gefragt: Was ist vom deutschen Kapital an Widerspruch bis Widerstand zu erwarten? Stichwort heißer Herbst: Was ist von der Arbeiterklasse zu erwarten? Und schließlich: Was ist von unserer Partei zu erwarten?

von Heinz-Dieter Lechte


Was sehen wir, wenn wir vom Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit ausgehen? Weltweit sehen wir die Konflikte der Staaten und Wirtschaften USA, EU, Russland, China und der BRICS-Staaten.

USA und EU plus NATO bilden ein Bündnis in dem die USA und EU sowohl eine Interessengemeinschaft als auch Konkurrenten sind, dem die USA der Koch und die EU, besonders aber die BRD, der Kellner ist. Die BRICS-Staaten beteiligen sich (naturgemäß) nicht an den Sanktionen gegen Russland. China ist das Hauptziel US-amerikanischer Aggression. Sowohl die europäischen Staaten, mehr noch die USA, haben den Zenit ihrer gesellschaftlichen Entwicklung überschritten, strukturell auf allen Gebieten, Infrastruktur, Stadtentwicklung Produktivitätssteigerung usw.

Chinas BIP/pro Kopf entwickelt sich rasant mit noch viel Luft nach oben, ein Merkmal einer dynamischen Gesellschaft. Schon jetzt zeichnet sich ab, China wird, gemessen am BIP, die USA in absehbarer Zeit überholen. Statt auf Zusammenarbeit mit China und einen New Deal im eignen Land antwortet amerikanische Politik darauf mit militärischer Präsenz, Wirtschaftskrieg, Regimechange-Phantasie und Erpressung der europäischen Partner.

Der westdeutsche Kapitalismus im Wandel

In den großen Aktienkonzernen ist der Typ des geschäftsführenden Unternehmers, wie man ihn heute nur noch im Medienbereich und im Maschinenbau findet, durch Manager ersetzt, die sich von Quartalsbericht zu Quartalsbericht hangeln. Naturgemäß beschäftigt sie die langfristige Perspektive ihrer Konzerne und Unternehmen weniger als es noch in den Gründerfamilien der Fall gewesen war. Der Patron, der stolz drauf war, vielen Menschen Lohn und Brot zu geben, den gibt es schon lange nicht mehr.

Worin sich angestellte Führungskräfte von Unternehmern unterscheiden zeigt ihre Rolle im gemeinschaftlichen Ausplündern gesunder Firmen durch Private Equity Investoren. Deren Kunden sind die High Net Worth Clients, Die Einlagen bewegen sich zwischen 5 und 50 Millionen. Sie zahlen den PE-Managern jährlich 1,5 bis 2 % des eingesetzten Kapitals. Die Rendite für die Anleger liegt bei 15 – 40 %, fällig nach 3 bis 7 Jahren.

Das Geschäftsmodell: sie kaufen Eigentumsanteile an florierenden gesunden Firmen mittlerer Größe. Schmuckstücke aus Silber aus denen sie Gold machen wollen, um dann nach 3 bis 7 Jahren wieder auszusteigen zum Vorteil ihrer Klienten. Wie werden die hohen Renditen erreicht? Zunächst werden die bisherigen Manager schlicht und einfach gekauft. Sie bleiben im Unternehmen und verdienen reichlich mehr als zuvor. Das überzeugt sie dann davon, Schritt zwei, Kredite aufzunehmen, um den Kaufpreis zu finanzieren, denn den bringt der PEI nicht allein selber auf. Die Gewinne entstehen durch Abbau von Arbeitsplätzen, Lohnkürzungen, Mehrarbeit bei gleichem Lohn, Einsatz von Leiharbeitern und Outsourcing, Verkauf von Teilen des Unternehmens und Immobilien. Und nicht zu vergessen, die Gründung einer Holding in einer Steueroase.

Doch der wesentliche Gewinn fließt, wenn das verschlankte Unternehmen an einen anderen Investor weiterverkauft wird oder an die Börse gebracht wird – wo dann schon BlackRock lauert. Ach, das beste habe ich fast vergessen: die Verkaufserlöse sind seit 2002 steuerfrei!

Von solchen Managern ist auch politisch keine Weitsicht zu erwarten!

Konzerne, die vom Außenhandel leben überlegen es sich zweimal, ob sie sich direkt kritisch zur amerikanischen oder deutschen Politik äußern, was ja nüchtern betrachtet nahezu das gleiche ist. Da die führenden Funktionäre von Wirtschaftsverbänden oft selbst Unternehmer ihr Branchen sind ist auch von unter dem Dach dieses Schutzes viel mehr auch nicht zu erwarten. Am ehesten wird man in der Wirtschaftspresse fündig werden. Vorstände werden bei Capital, Wirtschaftswoche, dem Handelsblatt u.a. Journalisten kennen, denen sie sich geschützt als Informanden andienen können.

Vor vielen, vielen Monaten zeigte die Zeitschrift Stern auf ihrem Cover Joe Biden, Xi Jinping und Andrea Merkel und sagte: die deutsche Wirtschaft wird sich entscheiden müssen zwischen den USA und China. Dass sich der Gesamtkapitalist bereits entschieden hatte, das war damals schon klar, und ebenso, dass sich die Wirtschaft nicht entscheiden will, sondern ungestört Geschäfte mit beiden machen will. Das ist ihr Dilemma. Sie schlängeln sich durch.

Andererseits hat Sahra Wagenknecht in ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“ zwischen den Zeilen angedeutet, dass es Interessenverbindungen zwischen einzelnen nationalen Kapitalien und der nationalen Klasse der Lohnabhängigen gegenüber dem Monopolkapitalismus geben könne. Als ich das auf FB fragend in den Raum stellte, empfahlen mir die einen, ich solle mal Marx lesen, während die, die es besser wussten, mich exkommunizieren wollten.

Nach marxistischen Denkern fahndet man vergeblich in ihrem Buch. Sie ist die einzige (Marxistin), neben bürgerlichen Ökonomen und natürlich Goethe, die zu Wort kommt. Vermutlich denkt sie, Sozialismus, Kommunismus, das sind für die Leute nun mal rote Tücher. Und wie reagieren die Menschen, wenn man ihnen ein rotes Tuch hinhält? Sie greifen an oder laufen weg. Sie werden jedenfalls nicht wahrnehmen können, was hinter dem Tuch steckt. Sie werden nicht verstehen, was verstanden werden muss, wenn sich was ändern soll. Tatsächlich erhalten Leser eine Einführung in marxistische Wirtschaftstheorie, ohne es zu merken. Und Sahra Wagenknecht hat Erfolg damit. Ihr Buch erreicht bürgerliche Menschen, die normalerweise von linken Positionen nichts wissen wollen. Marx ist dennoch in diesem Buch, weil er im Alltagsbewusstsein der Leser schon verankert ist.

Antonio Gramsci sagt dazu: „Jede philosophische Strömung hinterlässt eine Ablagerung von Alltagsverstand; diese ist das Zeugnis ihrer historischen Leistung“. Allerdings sagt uns der Alltagsverstand auch: Geld arbeitet, Kapitalismus ist ein anderes Wort für Marktwirtschaft, ohne Kapitalismus keine Innovationen, Kapitalisten gehen ein hohes Risiko ein und haften mit ihrem Privatvermögen usw. Mit diesen und anderen Mythen räumt sie gründlich auf. Der Titel des Buches ist irritierend. Die Kapitelüberschriften der beiden Hauptteile des Buches sind deutlicher: Die Lebenslügen des Kapitalismus (eine Analyse) und Marktwirtschaft statt Wirtschaftsfeudalismus – Grundzüge einer modernen Wirtschaftsordnung (konkrete Vorschläge der Autorin zur Finanzbranche, Banken, Rechtsformen von Gesellschaften: statt GmbH und AG Personengesellschaften mit voller Haftung, Mitarbeitergesellschaften, Gemeinwohlgesellschaften, Öffentliche Gesellschaften). Der Kapitalismus ist „jedenfalls all das nicht, wofür er normalerweise gehalten wird“, schreibt sie nach über einhundert Seiten Analyse. Wer das Buch gelesen hat, weiß, Kapital entsteht nicht durch Fleiß und Sparen, offene Märkte und Wettbewerb existieren für Oligopole nicht, wie aus öffentlichem Eigentum vererbbares Privateigentum wird und welche Rolle die Banken spielen.

Sie steigt in die Geschichte ein, erklärt wie Geld entsteht etc. Am Ende des Buches weiß jeder Leser, dass und warum Geld nichts kostet und warum die Römer keine Dampfmaschinen hatten. Das ist schon mal eine beachtenswerte Leistung.

Vom Fordismus zum „Arbeitsplatzunternehmer“ im Neoliberalismus

Wagenknecht bezieht sich auf die ersten Jahrzehnte der BRD als eine kapitalistische Gesellschaft in der in Konkurrenz um das qualitativ beste, haltbarste Produkt zum günstigen Preis zum Vorteil der Konsumenten geworben wurde und zeigt auf, dass der Kapitalismus seit dem Neoliberalismus seine Versprechen nicht mehr hält. Erwähnt sei, dass die Sozialpartnerschaft eine absolute Ausnahme zwischen dem Ende des II. Weltkriegs und dem Beginn des Neoliberalismus gewesen ist.

Die Arbeitswelt im Fordismus war patriarchalisch geprägt. Über festgelegte Abläufe und Hierarchien hinaus gab es jenseits von innerbetrieblichen Vorschlagswesen keine Strukturen, die über den Arbeitsvertrag hinausgehend das intellektuelle und kreative Potential der Arbeitskräfte nutzen. Das änderte sich mit dem Neoliberalismus. Unter dem Vorwand der Qualitätssicherung konnte ein relativ großer Teil der Belegschaften dafür gewonnen werden innerbetriebliche Abläufe einer Prüfung zu unterziehen. Geblendet vom Gefühl ernst genommen zu werden hat dabei mancher seinen eigenen Arbeitsplatz wegrationalisiert oder sich vom Skeptiker zum Arbeitsplatzunternehmer gewandelt.

Ich war seinerzeit selbst Leiter eines bundesweiten Projektes in dem Qualitätszirkels vieler Betriebe zusammengefasst waren. Die meisten Angestellten hatten keine Ambitionen selbst unternehmerisch tätig zu werden. Sie waren gerne Angestellte, doch an „ihren“ Unternehmen interessiert. Dass diese längst ihnen gehörten bzw. gehören müssten war ihnen freilich nicht bewusst. Wie auch?! Dennoch werden sie instinktiv erkannt haben, Teil von einer Art Monopoly gewesen zu sein. Doch es gab auch andere, die glaubten innbetriebliche Demokratie sei das Ziel der Qualitätszirkel. Sie warteten ungeduldig darauf, dass ihre Vorschläge umgesetzt wurden. Als ich kurz vor dieser Phase selbst Abteilungsleiter geworden war und mich der Verleger kennenlernte stieg ich in seiner Achtung als er erfuhr, dass mir jungen Mann 12 Mitarbeiter unterstanden. Wenige Zeit später unter seinem Sohn wäre das der Beweis gewesen, dass ich unfähig war zu rationalisieren.

EDV hatte es auch im Fordismus jenseits der Produktion in den Büros gegeben. Doch statt über Personalcomputer an allen Arbeitsplätzen erfolgte Datenerfassung über Terminals in dafür eigens eingerichteten Abteilungen und Austausch über Bandstationen. Die Qualitätszirkel bildeten die Voraussetzung für den Einsatz von PC für die Betriebsabläufe. Letztendlich wissen die Mitarbeiter selber besser als die Vorgesetzten über Abläufe und deren Sinn und Unsinn Bescheid. Doch als schließlich die letzten begriffen, dass sie einer Mogelpackung aufgesessen waren, endete die Aufbruchstimmung in innerer Kündigung, Entlassung und/oder Depression.

Steigende Produktivität, sinkender Reallohn, Wandel der Arbeiterklasse

Während sich die Produktivität verdoppelte stagnierten die Löhne. Neben der Verschiebung der Beschäftigung von der Industriegüterproduktion zu Dienstleistungen fällt ein Wandel bei der Berufswahl der lohnabhängigen Beschäftigung auf – besonders bei den Männern.

In meiner Generation und bei meinen Kindern war klar und akzeptiert man würde irgendwann seine Lebensunterhalt durch Lohnarbeit finanzieren. Je nach Herkunft oder Abitur wurde man Mechaniker, Elektriker, Ingenieur, Nautiker, Lehrer oder Sozialpädagoge, Koch, Psychologin, Ärztin, Verkäuferin o.ä. Wer zeichnen konnte wählte eine Ausbildung zum technischen Zeichner statt auf die Idee zu kommen, er sei Picasso. Diese Jobs gaben jungen Menschen die Sicherheit nie tiefer fallen zu können als in die Arme der Arbeitslosenversicherung. Dachte man sich diese Basis aus Lohnarbeit weg blieb die Sozialhilfe. Die war wirklich bedrohlich. Bei von der Sozialhilfe abhängigen Menschen löste die Gleichstellung mit Lohnabhängigen deshalb Zustimmung aus, denn für sie war es ein Vorteil.

Mit dem Verlust der Aufstiegsideologie änderte sich auch die Wahrnehmung heute junger Menschen auf Lohnarbeit. In den frühen siebziger Jahren drängte es nicht wenige Studenten an die Seite Arbeiterklasse in den Fabriken. Auch ich habe einige Monate in der Produktion von Langlaufskiern gearbeitet. Kein Mensch käme heute auf diesen Gedanken.

So verkündete vor kurzem in einem ZOOM-Kurs zur politischen Ökonomie eine Mutter über ihren Sohn, der eigentlich Lehrer hätte werden sollen, er hätte ihr gesagt „Mama, ich bin doch nicht blöd als Lohnsklave zu arbeiten. Mal sehen, ich mache irgendwas künstlerisches mit Musik“.

Alte vor sich hin rottende Schulen, kaputte Brücken und Straßen, eine Gesellschaft im Reparaturmodus, schließlich kein Bewusstsein dafür, was Wert schafft, kein Produzentenstolz außer vielleicht im Hamburger Hafen. Das sind m.E. alles Zeichen einer in den Untergang taumelnden Gesellschaft.

Kürzlich stellte sich Albrecht Müller die Frage: Ist überhaupt noch die Chance grundsätzlich etwas zu ändern?“ Ja! sagt er und verweist auf 1972, Willy Brandt, getragen von den Massen und ihren „Willy wählen!“ Rufen!“

Leider haben wir keinen Willy. Sahra eignet sich mehr fürs TV-Studio als für die Straße.

Frieden schaffen auf der Grundlage des Erfurter Parteiprogramms


Wenn ich jetzt z.B. an die Friedens-Demo am Sonnabend, den 1. Oktober, denke, sehe ich es so: in einem Bündnis nach dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ ist mir jede Meinung von Teilen der 2/3 Hamburger Mehrheits-Linken recht. Die gleiche Meinung von der gleichen Person innerhalb der Partei wird von mir politisch enttarnt als das, was sie bezweckt. Das muss auch so sein. Diese (fiktive) Person selbst macht mir keinen Kummer. Ich weiß aus langjähriger Erfahrung wie quick in einem veränderten Sein sich das Bewusstsein anpasst und 2/3 zu einem Drittel Normalgröße schrumpfen. Bis dahin muss ich meine Partei bloßstellen, wenn sie sich offiziell weigert zu Demos der Friedensbewegung aufzurufen. Das ist eine öffentliche Position und die muss und darf auch öffentlich diskutiert werden.

Oskar Lafontaine schwankt zwischen Zuneigung für die Position der sozialen Verteidigung eines Landes und einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik. Selbstverständlich ist auch darin seine Position „Frieden schaffen ohne Waffen“.

Ich führe dies an, weil ich die Frage von Albrecht Müller so beantworten würde, dass wir auch ohne eine populäre Leitfigur die Friedensbewegung wieder zu einer bedeutenden Kraft machen können, wenn wir die soziale Frage mit der Friedensfrage zusammenführen und mit Leidenschaft statt mit Proporz agieren.

Den Gedanken, dass sich dies aus örtlichen Friedensinitiativen von unten nach oben heraus entwickelt halte ich für unrealistisch. Wenn wir zurückdenken an die achtziger Jahre, dann sehen wir, dass sich die örtlichen und betrieblichen Friedensinitiativen zusammensetzten aus verschiedenen linken Strömungen wie DKP, GIM, KPD/ML, Spontis. Nahezu jedes Mitglied hatte einen linken Heimathafen. Heute sitzen dort Antikommunisten neben Reformisten. Ich sehe es deshalb eher umgekehrt. Aus Massendemonstrationen bilden sich neue Gruppen, und warum keine neuen K-Gruppen?!

Die geniale Losung „Brot, Land, Frieden“ traf punktgenau was die russischen Bauern im untergehenden Zarenreich beschäftigte. Heute könnte es heißen:

Gerechte Löhne
Bezahlbares Wohnen
Öffentliches Eigentum in öffentliche Hände
Klima schützen statt Profite machen
Frieden schaffen ohne Waffen

Mit dem Angriff auf die Pipelines in der Ostsee rückt uns ein anderes Thema von rechts auf die Pelle, die Souveränität der BRD. Das wird Einfluss auf die Europa-Wahlen haben.
Letztendlich ist die offene Frage, ob der Wirtschaftsblock Europa sich auch politisch in den United States of Europe zusammenschließen will. Am denkbarsten wäre ein Kern aus Deutschland, Frankreich und den Beneluxstaaten.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Der dickste Freund des Kapitalismus ist nicht Unverständnis grundlegender Wahrheiten der politischen Ökonomie, sondern das Menschenbild. Dieses ignoriert aufgrund lebenslanger Beschallung und wider besseren Wissens, die simple Erkenntnis, dass es das Sein ist, das hauptsächlich das Bewusstsein der Menschen beeinflusst. Das gilt auch für die verschiedensten Strömungen der Partei. Entweder ein humanistisches Menschenbild, das hinter den Stirnen den Sozialismus rascheln hört oder die gegenteilige Sicht auf den Menschen als grundsätzlich und unverrückbar misslungen. Dass dies den jeweils herrschenden Bedingungen in die Hände spielt muss man nicht erwähnen. Eine derartig tiefe und tausende Jahre alte Verankerung löst sich nicht in 100 Jahren Sozialismus. Was aber ziemlich schnell passiert ist Anpassung an neue Verhältnisse. Wer merkt als Macho komme ich in konkreten Verhältnissen nicht in den Chefsessel, passt sich an. Werden diese in einer Konterevolution beseitigt taucht auch schnell der alte Macho wieder auf. Ob die vorherige Anpassung aus linkslastigen Herzen kam oder Arschkriecher war ist dabei irrelevant. Das Sein bestimmt das Bewusstsein ist ein Auftrag das Sein zu verändern. Wer meint, das gelänge über eine Ansprache an den Menschen, sich zu ändern, täuscht sich – oder will, wie bei den Grünen, das alles bleibt wie es ist, nur der Mensch anders darüber denkt.

Nach wie vor wird die Mehrheit der Kapitalien der Meinung sein, dass nicht Faschismus, sondern das demokratisch parlamentarische System die beste Vertretung für ihre Interessen und ihre inneren Konflikte ist. Bei aller Bewunderung für das Wirtschaften in der Volksrepublik China bleibt doch die Sorge, die gewiss auch von den chinesischen Kapitalisten geteilt wird, dass es die KP der VR China tatsächlich ernst damit sein könnte, in nicht allzu ferner Zukunft den makroökonomisch gesteuerten chinesischen Kapitalismus in einen Übergang zum Kommunismus zu führen. Das westdeutsche Kapital fasst sich an den Hals und fragt sich, ginge das für mich gut aus? Dann doch besser Faschismus?

Schauen wir nun auf die Arbeiterklasse, das so genannte revolutionäre Subjekt. Zu keiner Zeit in Deutschland waren 50 % oder mehr der Lohnabhängigen in Gewerkschaften organisiert. Außerdem war die Klasse immer schon in verschiedene Schichten gespalten, Schichten die in der Konsequenz ihres Verhaltens dem Klassenfeind näher waren als ihren eigenen Interessen – z.B. die Kleinbürger. Dieser könnte ein Bauernsohn gewesen sein, der nicht geerbt hatte, in die Stadt gezogen ist, um dort in den Fabriken zu arbeiten und um der Monotonie der Maschinenarbeit zu entkommen einen Tabakladen eröffnen konnte. Aus seiner Sicht eine Aufstiegsgeschichte. Dennoch halte ich es für hartnäckige Dummheit der Linken den Arbeitern vorzuhalten, sie hätten sich beginnend mit den fünfziger Jahren an die Kapitalistenklasse verkauft. Denn das revolutionäre Subjekt zu sein ist nicht ihre Selbstbezeichnung gewesen, sondern eine bürgerliche Fremdzuschreibung von Marx und Engels, der rein logisch zugrunde lag, dass die Arbeiterklasse nicht zu Ausbeutung taugt, weil sie sich darin selbst ausbeuten müsste.

Abstiegsgesellschaft und grüne Ideologie

Mit dem 20. Jahrhundert endete für das Proletariat die Gewissheit den Kindern würde es einst besser gehen als ihnen, wie es noch für ihre Elterngeneration gegolten hatte. Seitdem dient die Zugehörigkeit, ob tatsächlich oder eingebildet, zur Schicht des Mittelstandes der Abgrenzung nach unten.

Innerhalb dieser Schicht hat sich mit den Grünen-Wählern eine eigene stabile Lifestyle-Schicht etabliert. Hier passt die Zuschreibung Sahra Wagenknechts ebenso wie der Begriff „die Selbstgerechten“. Ihr Pendant in unserer Partei sind die Befindlichkeitslinken.
In der Summe entsprechen beide den bürgerlichen Kreisen, die sich in den Zeiten der Studentenrevolte vorsichtshalber als „linkslastig“ empfanden und auch so beschrieben wurden. Dazu gehörte auch die „klammheimliche Freude“ über die RAF.

Sie haben erkannt, dass die grenzenlose Ausbeutung der Natur in die Krise führte und sie befeuert, während sie gleichzeitig die Augen davor verschließen, dass die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft die Grundvoraussetzung grenzenlosen Wachstums ist. Sie hegen den Wunsch, der Kapitalismus möge sich irgendwie verändern und ignorieren dabei den Wesenskern des Kapitalismus, der sich nicht ändern läßt ohne aufzuhören Kapitalismus zu sein. Sie haben ihre Nespresso-Kapselmaschine entsorgt, brühen den Espresso wieder von Hand und ähneln darin der Lebensweisheit der „kleinen Leuten“, man müsse bei sich selbst anfangen. Wer sich aus ihrer Sicht nicht daran hält gilt als asozial. Sie sind womöglich davon überzeugt, vom Schweinefleischfresser zum AFD-Wähler sei es nur ein kleiner Schritt. Gewiss sind sie überzeugte Anhänger der bürgerlichen Demokratie, zweifeln aber in Gesellschaft so vieler geistig unterbemittelter Wähler insgeheim am allgemeinen aktiven und passiven Wahlrecht. Bislang haben sie mangels Alternative die Zugehörigkeit zur NATO irgendwie in Kauf genommen. Anders war es auch nicht en vogue. So ist es nicht überraschend zu sehen wie sie scheinbar mühelos dem Bellizismus ihrer Parteiführung folgen.

Der heiße Herbst und DIE LINKE.

Von diesen Kreisen ist kein „heißer Herbst“ zu erwarten! Wie sieht es jenseits der beschriebenen neuen Schicht aus? Man wird unterscheiden müssen zwischen alten Bundesländern und den neuen. Für Sachsen, Thüringen und Brandenburg käme es einem Wunder gleich, wenn nach den Wahlen in 2024 die AFD nicht die stärkste Partei wäre.
Lt. Heinz Hillebrand gibt es im Gebiet der ehemaligen DDR eine geschärftere Sicht darauf, wenn die Kleider des Kaisers nackt sind. Es ist mit rechten wie mit diffusen Protesten zu rechnen. Versuche von Linken diese als rechts zu diskreditieren liefen im Osten ins Leere.
Die Sanktionen sind allseits unbeliebt. Die Linke würde höchstens noch wahrgenommen, wenn sie sich auf Transparenten o.ä. deutlich gegen die Sanktionen positioniert. Im Westen, konkret für Hamburg, dominiert die Erwartung, es würde einen heißen Herbst geben. Darin scheinen sich in der imponierenden Hamburger Linken von Quo Vadis über Linke Liste bis zur 2/3 Mehrheits-Linken alle einig zu sein.

Die Menschen in den alten Bundesländern könnten sich von den neu angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung täuschen lassen. Ralf Krämer beschreibt sie einerseits als richtig und wirksam mit Blick auf die Inflation aber als kurzsichtig. Das Niveau der Inflation werde eventuell in 2024 wieder die Werte von 2021 erreichen, dann aber auf der Basis der sich jetzt erhöhten und erhöhenden Preise für Energie und Nahrungsmitteln.

Dieser Reallohnverzicht könne dauerhaft nur durch höhere Löhne aufgefangen werden.

Man fragt sich, wie soll das angesichts der geschwächten Gewerkschaften gehen. Die Linke konzentrierte sich schon vor der neuerlichen Wende auf den Überbau statt auf Arbeit. Dass auch bezahlbare Mieten Lohnarbeit voraussetzen übersehen sie. Im Grunde wäre die beste Initiative der Partei aus diesen Gründen zunächst alle Mitglieder aufzufordern Mitglied einer Gewerkschaft zu werden.

Damit sind wir beim Thema was von der Partei DIE LINKE zu erwarten sei. In ihrem jetzigen Zustand? Kurz und schmerzlich? NICHTS!

Ralf Krämer ist aus der Partei ausgetreten, bleibt aber Mitglied der Sozialistischen Linken. Harry Grünberg ist ausgetreten, bleibt aber Mitglied der Marxistischen Linken. Auch das könnte eine Modell für Genossen sein, die mit dem Gedanken des Austritts schwanken.

Die Kommunistische Plattform ist insofern eine Ausnahme, dass in ihr nicht nur und unbestritten das Erfurter Programm gültig ist, sondern sie dialektisch, gesellschaftlich und historisch darüber hinaus geht, während in den anderen Strömungen, wie z.B in der Sozialistischen Linken, vom Neoliberalen bis zum Antikommunisten alles vertreten sein kann.

Wat nu Die Linke?

Momentan haben wir in der Partei nur noch eine sicherere Mehrheit von 1/3 für das Erfurter Programm. Ich rechne fest damit, dass bei nächster Gelegenheit die friedenspolitischen Grundsätze geschreddert werden. Die Hamburger Sprecherin hat schon in der MOPO angekündigt, dass es dafür eine Mehrheit gäbe. Deshalb sollte sich das verbliebene linke Drittel, offen für einzelne aus der 2/3 Mehrheits-Linken, organisatorisch zu einem Bündnis „Erfurter Programm“ zusammenfinden.

Zum zweiten plädiere ich dafür, dass sich damalige Verfasser, wie z.B. Ralf Krämer, analog zur Engels „Grundsätzen des Kommunismus“, dem Vorläufer des „Manifest der Kommunisten“ eine Schrift „Grundsätze des Erfurter Programms“ verfassen, unter denen sich die Genoss:innen sammeln können.

Heinz-Dieter Lechte
Norddorf auf Amrum, den 8. Oktober 2022